Berlin, 23. August 2022. Berlin ist von Zeitarbeit in der Pflege deutlich stärker betroffen als der Bundesdurchschnitt. Nach aktuellen Erhebungen beträgt der Anteil von Zeitarbeitskräften in Berlin 9,2%, bundesweit 2,7% (Stand 2020). Zeitarbeit in der Pflege kann Pflegequalität, Versorgungs- und Patientensicherheit sowie den sozialen Frieden in den Belegschaften gefährden, so die Einschätzung der Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen. Die Fachveranstaltung der Berliner Krankenhausgesellschaft (BKG) stellt das polarisierende Thema am 23. August 2022 mit Wissenschaftlern/-innen sowie Vertretern/-innen aus der Praxis und der Politik zur Diskussion.
Zeitarbeit wird grundsätzlich zur Abdeckung von kurzfristigen Personalausfällen oder Belastungsspitzen eingesetzt. In der Zwischenzeit hat sich der Einsatz von Zeitarbeit in der Pflege aber zu einem eigenen, verfestigten Arbeitsmarkt entwickelt. Anlass für die BKG, das Thema zu diskutieren (s. Programm).
Die Abwanderung von Personal ist für die Kliniken zu einem Problem für die Fachkräftesicherung geworden und damit auch für die Gewährleistung der Patientenversorgung. Die Gründe, warum Stammpersonal aus dem Krankenhausbetrieb wechselt, sind vielfältig − verlässliche Dienst- und Einsatzplanung, kein „Holen aus dem Frei“, gestiegene Arbeitsbelastung in der Corona-Pandemie, erhöhter Personalausfall wegen Erkrankung/ Infektion und Quarantäne, bessere Vergütungen, keine Dienste nachts/ an Wochenenden und Feiertagen. Eine Spaltung der Belegschaft resultiert aus den Wunsch-Dienstzeiten für Zeitarbeitende, aber auch aus unterschiedlicher Entlohnung, dem Einarbeitungsaufwand sowie den Qualitätsproblemen bei ständig wechselndem und mit der Einrichtung nicht vertrautem Personal. "Zeitarbeit bedeutet für die meisten Pflegekräften nicht die Erfüllung ihrer Berufsträume. Vielmehr fliehen sie vor den belastenden Arbeitsbedingungen im Krankenhaus", so Prof. Dr. Lutz Schumacher, Professor für Personalmanagement und Organisationsentwicklung in Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens, Alice Salomon Hochschule Berlin.
Auch die Kostenentwicklung ist für die Krankenhäuser problematisch. Während die Kosten für Zeitarbeit in den letzten Jahren extrem gestiegen sind und mehr als das Doppelte der Kosten für eine angestellte Pflegekraft betragen können, können die zusätzlichen Zeitarbeitskosten nicht mehr im Pflegebudget geltend gemacht werden. Zeitarbeitsfirmen nutzen die angespannte Arbeitsmarktlage und diktieren die Entleihbedingungen zum Teil nach Belieben. Kontinuierlich fließen damit finanzielle Mittel aus den Einnahmen der Solidargemeinschaft in Gewinnmargen der Zeitarbeit. "Zeitarbeit ist für die Krankenhäuser punktuell sinnvoll, um kurzfristige Personalausfälle zu kompensieren. Im jetzigen Ausmaß verursacht sie aber hohe Zusatzkosten und gefährdet den sozialen Frieden in der Belegschaft. Bessere und auskömmlich refinanzierte Personalschlüssel in der Stammbelegschaft sind das beste Mittel, um die Zeitarbeit einzudämmen", sagt Dr. Karl Blum, Vorstand und Leiter Geschäftsbereich Forschung beim Deutschen Krankenhausinstitut.
„Ein hoher und zunehmender Prozentsatz an Pflegenden in Berliner Krankenhäusern und in Pflegeeinrichtungen ist in Zeitarbeit beschäftigt. Mit der steigenden Zeitarbeit gehen auch negative Effekte für Krankenhäuser und schließlich auch Patienten/-innen einher. Für eine hochqualitative Versorgung benötigen die Einrichtungen verlässliche, gut eingearbeitete und aufeinander abgestimmte Teams. Häufiger personeller Wechsel und mangelnde Kenntnisse der Abläufe vor Ort können dazu führen, dass Qualitätsstandards nicht eingehalten werden können und so die Patientensicherheit beeinträchtigt wird. Zudem resultieren aus dem hohen Einsatz von Zeitarbeit Mehrarbeit für das Stammpersonal und Unsicherheiten für die Attraktivität einer Festanstellung. Daher ist es aus Sicht der Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen richtig und wichtig, in der Pflege weitestgehend auf Zeitarbeit zu verzichten“, so Marc Schreiner, Geschäftsführer der BKG.
Auf der BKG-Fachveranstaltung stehen folgende Handlungsoptionen zur Diskussion:
– betriebliche Maßnahmen (z. B. Einrichtung von Personalpools)
– aktive Fachkräftegewinnung und Nachwuchssicherung
– gesetzliche Maßnahmen, um Zeitarbeit in der Pflege einzudämmen
– Regelungen im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz
– Begrenzung der Zeitarbeit in der Pflege
– Deckelung der Zeitarbeitskosten (z. B. auf das 1,2-fache des Durchschnittlichen)
– Abschaffung der Vermittlungshonorare
– Erweiterung der Refinanzierung von Zeitarbeit im Rahmen des Pflegebudgets
Kontakt:
Barbara Ogrinz
Pressesprecherin und Referentin für Öffentlichkeitsarbeit
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